«Es ist überreif, dass das Foodsystem auf den Kopf gestellt wird»

«Es ist überreif, dass das Foodsystem auf den Kopf gestellt wird»

Photo: Nijan Ouliaei / Food2050

English version below

Mit der digitalen Plattform FOOD2050, die Umweltbelastungspunkte von Menüs wissenschaftlich berechnet und somit ein nachhaltigeres Konsumverhalten fördern soll, wollen der Gastronom Christian Kramer und seine Partner das derzeitige Foodsystem revolutionieren. In Partnerschaft mit dem Zürcher Frauenverein startet ein Pilotbetrieb an der Irchel-Mensa der Universität Zürich (UZH), der eigens dafür entwickelte, innovative und umweltverträgliche Speisen anbietet.

Mit dem Velo fährt Christian Kramer, 40, zur Food Zürich an die Europaallee. Kaum auf dem Areal wird er gerufen, begrüsst und auf den neuesten Stand gebracht. Hier kennt man den Zürcher Gastronomen, der vor zwei Jahren selbst noch hinter dem Grill stand und den amerikanischen und beliebten veganen Beyond Burger anpries. Den pflanzlichen Klops hatte Kramer als erster mit dem Helvti Diner in die Schweiz geholt. Ein Genuss für Vegetarier, Veganer und sogar Fleischliebhaber. Für Kramer die «Initialzündung» auf pflanzenbasierte und nachhaltige Produkte in der Gastronomie zu setzen. Darauf folgten im Burgerladen vielfältige plant-based Kreationen wie Milkshakes und Hotdogs – bis die Pandemie einschlug. Der Plan war, nach dem Corona-Lockdown den Diner mit einer rein pflanzlichen Speisekarte wiederzueröffnen. Doch die Krise legte die Expansionspläne vorerst auf Eis, worauf die Restaurantkette Helvti Diner schlussendlich neue Besitzer fand. 

Wendepunkt statt Niederlage: Kramers Vision erhält neuen Anlauf. Mit seinen Geschäftspartnern Adrian Hagenbach und Leopold Weinberg präsentiert er heute sein neues Projekt FOOD2050. Ihr Ziel: den Lebensmittelkonsum im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Gesundheit mittels Transparenz und Speise-Innovationen zu verbessern. «Wenn das aktuelle Bevölkerungswachstum so anhält, kollabiert unser Foodsystem bis 2050. Das sind nicht mal mehr 30 Jahre, die uns bevorstehen. Und unsere Ernährung macht zirka ein Drittel unseres ökologischen Fussabdruckes aus. Da wollen wir ansetzen», sagt Kramer.

Sein Lösungsansatz: Ein Tool, das dank dem wissenschaftlichen Bewertungssystem EP (Eco-Points) Rezepturen nach Umweltbelastungspunkten bewertet und den direkten Vergleich von tierischen zu Alternativprodukten darlegt. Die Auswertung der Menüs soll aufzeigen, wie umweltfreundlich gerade gespeist wurde und steht sowohl Produzenten, Gastronomen als auch Konsumenten zur Verfügung.

Christian Kramer läuft durch die Stände der Food Zürich, hält nach spannenden Angeboten Ausschau. Privat kauft er kein Fleisch mehr, das isst er – wenn – dann ausschliesslich im Restaurant. «Die Entwicklung im Helvti Diner hat für mich einiges ins Rollen gebracht, was mein Verständnis für die Nachhaltigkeit und Gesundheit in der Lebensmittelindustrie betrifft», so Kramer. Schliesslich bleibt er bei der «Planted Oyster Bar» stehen. Mit Co-Gründer John kommt Kramer sofort ins Gespräch und beide diskutieren darüber, wie schwer es ist, Nachhaltigkeit zu verstehen. Kramer erklärt es so: «Nachhaltigkeit besteht aus drei Aspekten: die Umwelt, eine soziale sowie eine wirtschaftliche Komponente. Damit ein Produkt als nachhaltig gilt, muss es alle drei Elemente beinhalten. Unser Fokus liegt auf dem Umweltbereich und mit dem Konzept FOOD2050 bringen wir alle Beteiligten der Wertschöpfungskette an einen Tisch.»

Das Bewertungssystem soll das grösste Potenzial aufzeigen, womit besonders in der Systemgastronomie etwas bewirkt werden könne. Der sechsmonatige Pilot von FOOD2050 startet in Zusammenarbeit mit dem Zürcher Frauenverein am 10. Januar 2022 an der UZH in der Irchel-Mensa. Eine von FOOD2050 interne Umfrage bei den Studierenden ergab, dass grosses Interesse an diesem Thema besteht. «Wir waren von den Rückmeldungen überwältigt», sagt Kramer. Und so werden gleich sechzehn Menüs ausprobiert. Die Student*innen können mittels QR-Code schnell und einfach Informationen zur Umweltverträglichkeit, Herkunft, den Nährwerten, Verarbeitungsmethoden und mehr abrufen. Gleichzeitig können sie den Fortschritt auf einem Umweltfreundlichkeit-Ticker vor Ort zeitgleich mitverfolgen. Ziel ist es, die breite Masse zu erreichen und sie aufzuklären, was sie mit ihrem Konsumverhalten für die Umwelt erreichen kann.

Der Markt wird heutzutage überrannt mit Alternativen zu tierischen Produkten. «Leider gibt es viel Greenwashing, bei dem der Vegan-Stempel nur eine Marketing-Strategie ist. Wir wollen einen Filter auf den Markt setzen, mehr Transparenz reinbringen und Produkte hervorheben, die für uns Sinn machen», erklärt Kramer. Für den Start sind «Eat Planted» mit Produkten zum Fleischersatz, «New Roots» mit Käse aus Cashew und «Nestlé» mit einer Thunfischalternative an Bord. Nebst den aktuellsten Food-Innovationen legt FOOD2050 auch Wert auf lokale Produzenten und kreiert unter anderem mit Bio-Backwaren der Bäckerei Neufeld aus Schlieren, Edamame aus Seuzach und gerettetem Gemüse der Centrale Végétale ein zeitgemässes Angebot ohne Kompromisse beim Geschmack.

Neugierig schlürft Christian Kramer vegane aus Pilzen zubereitete Austern. Wie gut seine neue Idee einschlägt, wird sich zeigen, denn Gespräche über Expansionspläne sind bereits im Gang. «Wir sind überzeugt, es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir wissen, dass unsere Methode nicht perfekt ist, aber es ist überreif, dass das Foodsystem auf den Kopf gestellt wird. Wir müssen irgendwo anfangen und möglichst schnell daraus lernen und uns verbessern», appelliert Kramer.

Was ist FOOD2050?

Die Globalisierung und das weiter ansteigende Bevölkerungswachstum treibt unser Nahrungssystem in den Engpass. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) schätzt, dass die Weltbevölkerung bis 2050 auf über 9,1 Milliarden Menschen anwachsen wird und dass die Nahrungsmittelsysteme rund um den Globus dann nicht mehr in der Lage sein werden, alle Menschen zu ernähren.

FOOD2050 will mit mehr Transparenz in der Lebensmittelindustrie dagegen ankämpfen und fokussiert seine Vision auf einen nachhaltigen und gesunden Lebensmittelkonsum. Die Idee: Neue Speisen mit minimalem ökologischen Fussabdruck für den Endkunden in der Systemgastronomie zu kreieren, diese mit wissenschaftlich fundierten Umweltbelastungspunkte versehen und den Fortschritt auf der FOOD2050-Plattform aktiv mitverfolgen. In Zusammenarbeit mit dem Zürcher Frauenverein (ZFV), Gastronomics und der ZHAW wollen Christian Kramer, Adrian Hagenbach und Leopold Weinberg mit FOOD2050 mittels der Vernetzung und der Zusammenarbeit aller Akteure innerhalb der Wertschöpfungskette ein umweltfreundliches globales Ernährungssystem schaffen.


«Our food system needs an urgent overhaul»

With the digital platform FOOD2050, which scientifically calculates environmental impact points of menus and thus aims to promote more sustainable consumption behavior, restaurateur Christian Kramer and his partners want to revolutionize the current food system. In partnership with the Zurich Women's Association (ZFV- Zürcher Frauenverein), they are launching a pilot operation at the Irchel canteen of the University of Zurich (UZH), offering specially developed, innovative and environmentally sustainable meals.

Christian Kramer, 40, rides his bike to Food Zürich on Europaallee. As soon as he arrives on the premises, he is called, greeted and brought up to speed. People here know the Zurich restaurateur, who two years ago was himself standing behind the grill touting the American and popular vegan Beyond Burger. Kramer was the first to bring the plant-based patty to Switzerland with Helvti Diner. A treat for vegetarians, vegans and even meat lovers. For Kramer, this was the "initial spark" to focus on plant-based and sustainable products in the restaurant business. This was followed by a variety of plant-based creations at the burger joint, such as milkshakes and hot dogs - until the pandemic hit. The plan was to reopen the diner with a fully plant-based menu after the Corona shutdown. But the crisis put expansion plans on hold for the time being, after which the Helvti Diner restaurant chain eventually found new owners.

Turnaround instead of defeat: Kramer's vision gets a new start. With his business partners Adrian Hagenbach and Leopold Weinberg, he is presenting his new project FOOD2050 today. Their goal: to improve food consumption in terms of sustainability and health through transparency and dining innovations. "If population growth continues at the current rate, our food system will collapse by 2050, which is less than 30 years away. Food accounts for about a third of our ecological footprint. That's where we want to make an impact," says Kramer.

His approach: a tool that uses the EP (Eco-Points) scientific rating system to evaluate recipes according to their environmental impact and demonstrating a direct comparison of the national meal average in EP. The evaluation of the menus is intended to show how environmentally friendly recipes or food products are and is available to producers, restaurateurs and consumers alike.

Christian Kramer walks through the stands at Food Zürich, looking for exciting offers. Privately, he no longer buys meat; he eats it - when he does - exclusively in restaurants. "The development at Helvti Diner has set things in motion for me in terms of my understanding of sustainability and health in the food industry," Kramer says. Eventually, he stops at Planted Oyster Bar. Kramer immediately strikes up a conversation with co-founder John, and the two discuss how difficult it is to understand sustainability. Kramer explains it this way:

“Sustainability consists of three aspects: the environment, a social component, as well as an economic component. For a product to be considered sustainable, it must include all three elements. Our focus is on the environmental side, and with the FOOD2050 concept, we bring all stakeholders in the value chain to the table.”

The rating system is designed to highlight products that show greatest potential to make a difference, especially in the foodservice industry. The six-month pilot of FOOD2050 will start in collaboration with the Zurich Women's Association on January 10., 2022 at the UZH in the Irchel canteen. A FOOD2050 internal survey of students revealed great interest in the topic. "We were overwhelmed by the feedback," says Kramer. Consequently sixteen FOOD2050 recipes are being tried out during the testing phase. Using a QR code, students can quickly and easily access information on environmental impact, origin, nutritional values, processing methods and more. At the same time, they can follow the progress on an on-site eco-friendliness ticker demonstrating how many Eco-Points have been saved collectively. The goal is to reach the masses and educate them on what they can achieve for the environment with their consumption habits.

The market is overrun with alternatives to animal products these days. "Unfortunately, there is a lot of greenwashing where the vegan label is just a marketing strategy. We want to put a filter on the market, bring in more transparency and highlight products that make sense to us," Kramer explains. For the launch, "Eat Planted" with meat substitute products, "New Roots" with cheese made from cashew and "Nestlé" with a tuna alternative are on board among others. In addition to the latest food innovations, FOOD2050 also sees the importance of local producers. With this in mind recipes have been created with organic baked goods from the Neufeld bakery in Schlieren, edamame from Seuzach and rescued vegetables from Centrale Végétale.

Christian Kramer curiously slurps vegan oysters prepared from mushrooms. Time will only tell if his new idea takes off; talks about expansion plans are already underway. "We are convinced it is a step in the right direction. We know our method isn't perfect, but it's overdue for the food system to be disrupted. We have to start somewhere and learn from it as quickly as possible and improve along the way," Kramer appeals.

What is FOOD2050?

Globalization and continued population growth are pushing our food system into a bottleneck. The Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) estimates that the world's population will grow to over 9.1 billion people by 2050, and that food systems around the globe will consequently collapse.

FOOD2050 aims to combat this with more transparency in the food industry and focuses its vision on sustainable and healthy food consumption. The idea: to create new dishes with a minimal ecological footprint, to label them with scientifically based environmental impact points and to actively follow the progress on the FOOD2050 platform. In collaboration with the Zurich Women's Association (ZFV – Zürcher Frauenverein), Gastronomics and the ZHAW, Christian Kramer, Adrian Hagenbach and Leopold Weinberg aim to create an environmentally friendly global food system with FOOD2050 by means of networking and collaboration between all players within the value chain.

Artikel auf Englisch veröffentlicht im Magazin von Food2050

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