Frauen und Masturbation, ein weiteres Tabu
Photo: Pexels, Gerhard Lipold
Lasst uns über Frauen und Masturbation reden – und so das Tabu, das drumherum herrscht, brechen. Dafür setzt sich auch die Plattform OMGyes ein. Ein Interview über «Empowerment» der weiblichen Lust, beliebte Techniken, intensivere Orgasmen und darüber, was uns in Zukunft erfreut.
Dass Frauen masturbieren, gilt oft noch immer als Tabu. Eine in einem Film onanierende Frau wird aber gerne als emanzipiert und selbstbewusst beschrieben.
Ist sie das, weil sie sich selbstbefriedigt? Oder können wir uns einfach darauf einigen, dass Selbstbefriedigung normal und natürlich ist, und das nicht nur bei Männern.
Eine Umfrage der Universität Bern hat im Jahr 2019 gezeigt, dass 94 Prozent der Frauen in den vergangenen 12 Monaten masturbiert haben. Die Organisation Sexuelle Gesundheit Schweiz setzt sich mit einer nationalen Kampagne dafür ein, dass Schulen im Sexualunterricht mehr auf das Thema Masturbation eingehen, besonders bei Mädchen. Eine vor kurzem erschienene Studie zeigt sogar, dass Selbstbefriedigung gegen Menstruationsschmerzen helfen kann.
Es gibt also keinen Grund mehr, über dieses Thema zu schweigen. Das hat sich auch die amerikanische Plattform OMGyes gedacht. Ihr Konzept: Frauen von der ganzen Welt erklären vor der Kamera, was sie bei der Masturbation mögen und wie sie «es sich selbst» tun.
Die Videos kann man sich wie ein Hairstyle-Tutorial auf YouTube vorstellen, nur dass es eine Anleitung zur Selbstbefriedigung ist. Weder erotisch noch pornografisch oder vulgär. Dafür direkt, ehrlich und humorvoll.
Dazu gibts Ausschnitte aus Studien, animierte «Show-and-Tell-Videos» und Tipps, wie man das Gelernte in der Partnerschaft umsetzt. Mittlerweile hat OMGyes weltweit mehrere hunderttausende User*innen.
Wir wollten von Angela Giovanello, Mediensprecherin von OMGyes, wissen, wie sich das Bewusstsein rund um das Thema der weiblichen Lust und Solo-Sex seit dem Launch 2015 verändert haben.
Angela Giovanello, die Frauen zeigen in den Videos ihre intimste Seite. Wie läuft so eine Zusammenarbeit ab?
Die Videos sind Ausschnitte aus ganztägigen Konversationen mit unseren Protagonistinnen. Sie kommen so authentisch und sympathisch rüber, weil sie es sind. Da ist kein Skript notwendig, nur eine Crew, die einfach eine tolle Zeit damit verbringt, sich offen auszutauschen.
Damit habt ihr ein grosses Tabu gebrochen.
Die weibliche sexuelle Lust wurde von der Wissenschaft und der Gesellschaft lange ignoriert und gemieden. Aktuell findet aber ein kultureller Wandel statt, der dazu führt, dass Menschen mehr zum Thema teilen, reden und erforschen. OMGyes ist ein wichtiger Teil davon.
Wie geht ihr vor?
In Partnerschaft mit Forschern der Universität Indiana und dem Kinsey Institut hat das Recherche-Team von OMGyes die «Weisheiten» von mehr als 20’000 Frauen im Alter von 18 bis 95 Jahren gesammelt. Wir haben festgestellt, dass sich Techniken, wie Frauen ihre sexuelle Lust steigern, überschneiden und gruppieren lassen. Auf unserer Webseite präsentieren wir diese Erkenntnisse. OMGyes ist eine offene, ehrliche und sichere Plattform für diejenige, die die weibliche Lust mehr erkunden möchten. Unser Ziel ist es, dass wir Frauen somit helfen, mehr Selbstvertrauen zu gewinnen und sich für ihre eigene Lust und ihren Vorlieben einzusetzen.
Wie hat die Plattform Frauen bestärkt?
Wir nennen es den «OMGyes-Effekt». Zusammen mit dem medizinischen Institut der Universität Indiana haben wir bei einer quantitativen Umfrage von 1000 Nutzer*innen Folgendes festgestellt: 96 Prozent der Befragten haben erkannt, dass ihre sexuelle Lust Wachstumspotential hat, 95 Prozent haben entdeckt, dass es eine grössere Auswahl an Möglichkeiten gibt, ihr Lustempfinden zu erforschen und 81 Prozent fanden neue Wege, ihre Vorlieben zu beschreiben.
Von Frauen, deren Partner OMGyes (mit)benutzten, gaben 89 Prozent an, dass sie mehr Spass an Sex hatten und 82 Prozent, dass sie intensivere Orgasmen erlebten.
Wer sind eure Nutzer*innen?
Hauptsächlich Frauen, aber auch Männer. Viele Frauen nutzen die Website alleine und zeigen dann ihren Partnerinnen oder Partnern spezifische Kapitel, im Sinne von: «Ich mag das» oder «Lass uns das zusammen ausprobieren».
Was waren die Reaktionen?
Wir haben eine unglaublich gute Resonanz von Medien, auf Social Media und sogar von der Schauspielerin Emma Watson bekommen. Wir hören von Frauen, die ihre ersten Orgasmen in ihren Vierzigern hatten, und von Männern, die erzählen, dass sie ihren Frauen näher gekommen sind, weil sie gemeinsam die weibliche Sexualität ihrer Partnerin besser kennengelernt haben.
Welche Technik ist die Beliebteste?
Aus unserer ersten Staffel, die sich auf den Orgasmus durch das Stimulieren der Klitoris konzentriert, scheint die «Edging»-Methode die meiste Neugierde zu wecken. Da werden drei Techniken vorgestellt, wie Frau den Orgasmus noch intensiver erleben kann, in dem sie sich wiederholt dem Höhepunkt nähert und dann kurz davor stoppt.
Unsere zweite Staffel beschäftigt sich mit dem Vergnügen der Penetration. Das Kapitel über die G-Regionen wird am häufigsten aufgerufen. Darin widerlegen wir Mythen zum G-Punkt, stellen unsere neuesten Forschungsergebnisse vor und schlagen praktische Tipps vor, wie die verschiedenen G-Punkte zu finden sind.
Und was kommt als nächstes?
Aktuell sind einige Studien im Gange. Wir planen sicherlich andere Tabus und Themen, wie Sex nach der Schwangerschaft, während den Wechseljahren und nach einem Trauma zu beleuchten. Dieses Jahr werden wir unsere Forschungsergebnisse und Inhalte zu Kommunikationsstrategien, psychologische Aspekte und Techniken mit Sextoys herausbringen.