Die erste Liebe prägt ein Leben lang
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Sie ist besonders, unerfahren und prägt uns fürs Leben. Ein Gespräch über die erste Liebe, wie sie sich auf unsere Persönlichkeitsentwicklung auswirkt und darüber, was passiert, wenn Liebesfilme auf die Realität prallen.
Das erste gemeinsame Foto, das erste «Ich liebe dich», der erste Kompromiss, der erste Streit. Die erste Beziehung bringt so einiges mit sich und neben den süssen Schmetterlingen im Bauch, wird auch die erste ernste Verpflichtung eingegangen. Laut einer amerikanischen Studie vom Pew Research Center, hatten 35 Prozent der Teenager im Alter von 13 bis 17 Jahren bereits eine romantische Beziehung. Die erste Liebe fällt also in eine Zeit, in der sowohl der Körper als auch die Persönlichkeit heftigste Entwicklungen durchmachen. Wir haben mit dem Psychologen Joseph Selinger über die erste Liebe gesprochen – wieso sie von Bedeutung ist und wie sie uns nachhaltig prägt.
Herr Selinger, was bedeutet die erste Liebe?
Die erste Liebe ist heilig. Sie bedeutet die erste Begegnung zwischen den Idealvorstellungen und der Realität. Das Bild, wie die Beziehung sein sollte, entsteht aber schon vor der ersten Liebe oder der ersten Beziehung.
Woher stammt dieses Bild?
Von den Vorbildern: Filmen, Büchern, oder vor allem von den Eltern. In der ersten Beziehung versucht man die Normen und Werte so auszuleben, wie man sie sich abgeschaut hat. Das ist entscheidend für die Reife- und Persönlichkeitsentwicklung.
Was, wenn die Idealvorstellung und die Realität nicht zusammenpassen?
Es kann durchaus vorkommen, dass die erste Liebe wie eine romantische Highschool-Komödie verläuft, in der beide Liebenden durch die rosarote Brille schauen. Allerdings ist es oft so, dass die Idealvorstellungen einfach nicht übereinstimmen. Dann kommt es darauf an, wie die zwei Partner kommunizieren und miteinander verhandeln.
Das klingt eher nach etwas für Beziehungsprofis...
Ja, aber das sind die beiden eben noch nicht. Wenn man sich früh begegnet, handelt es sich per se um eine unreife Beziehung, da keiner von beiden viel Erfahrungen hat. Mit der gemeinsam verbrachten Zeit und den zusammen gemeisterten positiven und negativen Situationen, wird diese Erfahrung nach und nach aufgebaut.
Was passiert mit den Idealvorstellungen, wenn die Beziehung scheitert?
Die erste Liebe ist ein kurzer Abschnitt im Vergleich zum gesamten Leben. Jedoch prägt die erste Beziehungserfahrung nachhaltig und hilft herauszufinden, was man bei der nächsten Beziehung erwartet, was man sucht und was man vermeiden möchte.
Was sind die Vorteile, wenn die erste Liebe länger andauert?
Das ist eine einmalige Chance. Da stürzen sich zwei mit viel Vertrauen und grosser Loyalität in dieses Abenteuer – mit nur wenig Voreingenommenheit. Das ist bei späteren Beziehungen oft nicht mehr der Fall, da die Vergangenheit mit hineinspielt. Als Jugendliche oder junge Erwachsene wird man auch gemeinsam erwachsen, man reift miteinander. Das heisst, die beiden Liebenden sind in ständiger persönlicher Entwicklung, was bedeutet sie müssen auch dauernd neu verhandeln und sich aufeinander einlassen. Durch die fortlaufende Konfrontation mit dem Gegenüber, erfährt man sehr viel über sich und den Partner.
Gibts denn auch Nachteile, sich so früh zu binden?
Es kann natürlich sein, dass Kompromisse eingegangen werden – wie zum Beispiel auf einen Semesteraustausch zu verzichten, um die Beziehung nicht aufgeben zu müssen. Aber bei einer jungen Liebe ist es oft so, dass solche Chancen, die auch für die einzelne Persönlichkeitsentwicklung wichtig sind, in die Beziehung integriert werden und dann doch ein Auslandsaufenthalt gemacht wird. Dadurch wird eine gegenseitige Verbindlichkeit eingegangen, was die Beziehung noch wertvoller und einzigartiger macht.
Wie beeinflusst die erste Liebe unsere Persönlichkeitsentwicklung?
Jugendliche sind auf der Suche, bauen durch ihr Handeln und Ausprobieren ihre Identität auf. So finden sie heraus, wer sie sind. Wenn ein Jugendlicher sich bereits in einer stabilen Beziehung befindet, ist einerseits das Ausprobieren minimiert, doch andererseits werden andere Werte vermehrt. Zum Beispiel lernen sie schon früh, die Perspektive des anderen einzunehmen und eine Streit- und Versöhnungskultur aufzubauen. Die Fähigkeit, Probleme zu bewältigen, ist somit meiner Meinung nach besser entwickelt und die Beziehung gewinnt an Tiefe.
Joseph Selinger ist Inhaber der Praxisfamilie Qurateam. Nach seinem Psychologie-Studium an der Universität Basel, folgte ein Medizin-Studium und die Spezialisierung auf Psychiatrie.
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