Wieso wir über das Thema Fehlgeburt sprechen müssen

Wieso wir über das Thema Fehlgeburt sprechen müssen

Photo: Unsplash / Monika Kozub

Ein Name, ein Kinderzimmer, ein Geburtsort – Träume, die auf einmal verschwinden, wenn sich das Baby vor der zwölften Schwangerschaftswoche selbst verabschiedet. Ein Schicksalsschlag, über den viele nicht sprechen. Zwei Frauen und ein Mann machen Schluss damit.

Den Satz «Mein herzliches Beileid.» sagen wir ganz selbstverständlich, wenn dir dein Gegenüber erzählt, dass jemand aus der Familie verstorben ist. Es ist ein Satz, den wir erwarten, wenn wir die Todesnachricht Freunden, dem Boss, jemandem aus dem Bekanntenkreis überbringen. Aber bei der Bekanntgabe einer Fehlgeburt? Stille. Unbehagen. Oder ein Satz wie, «es musste wohl so sein.»

Wieso? Warum wissen wir nicht, wie reagieren, wenn dir eine Frau oder ein Mann erzählt, das Kind sei vor der zwölften Schwangerschaftswoche gestorben? Warum ist die damit verbundene Trauer vom Umfeld oft nicht nachvollziehbar? Es ist zur Gewohnheit, – nein zur Regel geworden – die ersten drei Monate zu schweigen. Auch wenn man überglücklich ist und es der Welt zuschreien möchte. Doch die Gefahr besteht, dass man das Baby verliert – und dann von der Trauer statt der Freude erzählen müsste. Also sagt man lieber nichts. Zwei Frauen und ein Mann erzählen von ihrer Fehlgeburt. Sie wollen das Schweigen brechen, damit ihre Trauer akzeptiert wird.

Anonym, 36
Ich flog mit meinem Baby nach Bali und kam ohne zurück. Ich war in der zehnten Schwangerschaftswoche, als ich diese Geschäftsreise antrat. Meine Frauenärztin hatte mir jegliche Sorge bezüglich dem langen Flug und dem frühen Stadium der Schwangerschaft genommen. Aber ich fing an zu bluten. Sehr zu bluten und war von Schmerzen gequält. Meine Frauenärztin bestätigte mir am Telefon: Sie verlieren das Baby. Das war für mich wie ein Todesstoss. Eine Welt brach zusammen. Alle Bilder im Kopf, wie das Kinderzimmer aussehen würde, ob ich im Spital oder Geburtshaus entbinden würde, der Name meines Kindes – alles löste sich in Luft auf.

Unterdessen war ich auf Bali beim Arzt. Ich spürte wie sich meine Gebärmutter zusammenzog, Wehen auslöste, mein Baby ausstiess. Ich musste Entscheidungen treffen. Alleine. Mein Mann war weit weg. Ich hoffte noch stets, dass mein Baby doch noch lebte, aber der Arzt bestätigte es. Kein Herzschlag. Ich fragte mich warum? Vorwürfe überkamen mich. Wäre ich doch nicht geflogen! Ich entschied mich eine Curetage durchzuführen und den Fötus ausschaben zu lassen. Was danach kam, war das Schlimmste.

Zurück in der Schweiz wurde von mir erwartet, genau gleich weiterzumachen wie vorher. Ausser von meiner Familie und Freunden, bekam ich wenig Verständnis. Vor allem von meinem damaligen Arbeitgeber kam viel Druck. Da war kein Platz für meine Trauer. Ich war zerbrochen und Sätze wie «das Baby war sicherlich krank» waren in dem Moment fehl am Platz. Ich hatte doch gerade mein Kind verloren, wollte ich schreien! Ich fing meinen Körper an in Frage zu stellen. Er kann zwar schwanger werden, kann aber kein Kind austragen… Das war vor drei Jahren. Gesamthaft hatte ich vier Fehlgeburten. Jetzt bin ich stolze Mama von zwei Kindern.

Jan, 33
Ich war bei der Arbeit, als mich die Nachricht erreichte. Das Herzchen klopfte nicht mehr. Ich hatte mich wahnsinnig über die Schwangerschaft gefreut. Nach diesem Schock war meine Konzentration dahin, ich bewegte mich wie in Trance. Als Arzt sehe ich drohende Aborte jeden Tag auf der Notfalltafel im Spital wo ich arbeite. Ich weiss, dass es medizinisch nicht überraschend ist, ein Baby in diesem frühen Stadium zu verlieren. Es müssen so viele Faktoren stimmen, auch nach der Geburt.

Zwar hat es mir geholfen die Situation zu verstehen und es auch meiner Frau verständlicher zu machen. Aber die Trauer war da. Auch wenn ich sie anfangs nicht wirklich an mich rangelassen habe. Das kam später, als ich mit meiner Frau darüber sprach und wir dann auch symbolisch etwas ans Grab ihrer Grossmutter gelegt haben. Von meinem Umfeld kam lediglich der Standardsatz: «Das klappt schon noch.» Ich habe noch nie mit einem anderen betroffenen Mann darüber gesprochen. Das Thema kenne ich ausschliesslich von meinem weiblichen Umfeld. Jedes Mal trifft es mich, wenn mir jemand eine Schwangerschaft verkündet. Mein Kind wäre jetzt zehn Monate alt. Dieser Gedanke wird wohl nie verschwinden…

Anina, 32
Der Tod ist normal, er gehört zum Leben. Dass eine Frau ein Kind verliert, ist es nicht. Das ist wie ein Fehler im System. Sobald ich das Thema anspreche, habe ich das Gefühl die Leute zu überfordern. Niemand weiss, wie damit umgehen. Meine Fehlgeburt hat mein Leben geprägt, wieso sollte ich also schweigen? Auch als ich schwanger wurde, habe ich es allen erzählt. Meine Familie und meine Freunde waren Zeuge meiner Freude. Sieben Wochen dauerte unser Glück. Für sieben Wochen waren wir zu dritt.

Seit eh und je sehe ich mich mit Kind, hab in meinem Leben immer dafür einen Platz freigehalten. Wollte deswegen nie die Ehrgeizigste sein. Ich wusste, ich werde früh Mama. Und mein Körper hatte mich noch nie enttäuscht, er hat immer funktioniert wie ein Uhrwerk. Bis zur Fehlgeburt. Ich fühlte mich von meinem eigenen Körper verraten, konnte mich irgendwie nicht mehr im Spiegel anschauen. Dazu war ich plötzlich mit der Realität konfrontiert: Wer bin ich ohne Kind? Es zwang mich, mich mit mir selbst auseinander zu setzen. Mein Mann konnte mir in diesem Moment nicht über die Trauer hinweg helfen – er trauerte ja selbst.

Mit meinem Umfeld darüber zu sprechen, half. Ich erfuhr, dass ich mit meiner Fehlgeburt nicht alleine bin. Fehlgeburten sind normal. Dass es bei vielen Frauen dann doch noch klappt, nimmt mir die Angst nie mehr schwanger zu werden. Mir ist eines klar geworden: Ich stand bisher auf der Bremse. Wollte vor allem eines: jung Mutter sein. Will es immer noch. Aber ich bin stärker geworden, risikofreudiger, fordere mehr und habe meinem Beruf, den ich liebe, mehr Platz eingeräumt. Ich bin jetzt bereit, es nochmals zu versuchen…

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