Mit Mistgabel und Glitzernägeln

Mit Mistgabel und Glitzernägeln

Photos: Olivia Pulver

Sie tragen Kleidchen und Nagellack, haben aber keine Scheu, sich die Hände dreckig zu machen. Die Zwillinge Stefanie und Janina Sutter geben auf ihrem Gnadenhof 150 Tieren die Chance auf ein zweites Leben.

Es ist kurz vor Mittag. Acht Hunde begrüssen uns, als wir am Gittertor des Tierlignadenhofs in Kaisten AG stehen. «Geht dem Hahn aus dem Weg und ignoriert Balu», ruft uns Stefanie Sutter zu. Der Bernhardiner habe einen besonderen Schutzinstinkt. «Sobald er sich an euch gewöhnt hat, kommt er von selbst schmusen.» Die junge Frau steht mit der Mistgabel im Stall – im Kleidchen und Barfuss. Ihre Schwester Janina verwöhnt gerade die 300 Kilogramm schwere Sau Paula mit Streichel- und Kratzeinheiten. Neugierig auf uns Besucher werden auch die Pferde, Esel, Hühner und Gänse.

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Eins ist klar: Die Zwillinge Stefanie und Janina Sutter, 32, sind nicht die typischsten Hoffrauen. Mit Röckli und Kunstnägeln misten sie Ställe aus. Aber neben Glitzer und der Farbe Rosa schlägt ihr Herz vor allem für die 150 verstossenen Tiere aus der ganzen Schweiz, denen sie auf ihrem Tierlignadenhof im Fricktal ein neues Zuhause geben. 

Krampfen statt Ausgang
Gegründet hat den Hof Monica Spoerlé 1997. Nach ihrem Tod vor zwei Jahren haben Stefanie und Janina die Zügel in die Hand genommen. Niemand wäre dazu besser geeignet gewesen. Das erste Mal entdeckten die Zwillinge den Hof, als sie acht Jahre alt waren. Sie verbrachten die Mittwochnachmittage nach der Schule hier, dann kamen die Samstage hinzu und schliesslich fast ihre ganze Freizeit. «Unsere Eltern konnten unsere Leidenschaft nicht wirklich nachvollziehen. Sie wünschten sich, wir hätten unsere Jugend mehr ausgelebt und nicht auf so vieles verzichtet», erzählt Janina. Statt chic auszugehen, wurde auf dem Hof gekrampft. Learning by doing.

Seit Anfang des letzten Jahres lebt Stefanie nun Vollzeit auf dem Hof und Janina verbringt immer noch jede freie Minute da. Sie arbeitet Vollzeit in einem Wirtschaftsprüfungsunternehmen. Stefanie hat, zusätzlich zu ihrer KV-Ausbildung, eine Lehre zur Tierpflegerin absolviert. Sie ist heute als Stiftungspräsidentin zu 60 Prozent bei der Stiftung Tierlignadenhof angestellt und arbeitet noch zu 40 Prozent beim Kanton Aargau. Den Tierlignadenhof und ihre drei Angestellten finanzieren die Schwestern ausschliesslich aus Spenden.

Die neuesten Mitglieder auf dem Hof sind die beiden Zwergziegen Lilli und Mimmi. Sie wurden von ihrem früheren Besitzer ausgesetzt und fanden durch das Veterinäramt Bern einen Platz auf dem Tierlignadenhof. «Die beiden hatten bis jetzt noch nicht so viel Glück im Leben und sind deshalb uns Menschen gegenüber sehr zurückhaltend», erklärt Stefanie. Mimmi und Lilli gewöhnen sich aber langsam an ihr neues Zuhause und schliessen neue Freundschaften. 

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Pro Monat stossen bis zu drei neue Tiere zur Hof-Familie dazu. Und jedes hat seine Geschichte: eine eingestellte Zirkusnummer und tierische Artisten, die ein neues Zuhause brauchen, eine Familie, die die Verantwortung und den Pflegeaufwand unterschätzt hat, oder ein Herrchen, das verstorben ist. Auf dem Hof dürfen sie bleiben. Nur an eine Regel müssen sie sich halten: «Sie müssen Respekt vor uns haben und auch untereinander. Ansonsten dürfen sie sich selbst sein», sagt Stefanie. 

Eine realistische Denkweise
Bevor ein Tier überhaupt aufgenommen wird, fragen sich die Schwestern: Haben wir genügend Platz, Zeit, Geld und passt der Neuling zur Herde? «Alle Tiere können wir nicht retten. Wir müssen realistisch bleiben», erklärt Janina. Ein Gnadenhof ist eben auch ein Business. «Hinter einem süssen, jungen Lamm zum Beispiel steckt viel Arbeit: Tierarzt, Schöppelen, Aufpäppeln. Nicht zu vergessen die ganze Administration, die genauso viel Zeit braucht wie die Tierpflege selbst», erklärt Stefanie. 

Ihre realistische Art zu denken haben die beiden dank ihren Eltern von klein auf mitbekommen. Mit ihrer Leidenschaft wollen die Zwillinge die Beziehung zwischen Mensch und Tier fördern und über die Tierhaltung und deren Verantwortung aufklären. «Öffentlichkeitsarbeit ist unser A und O. Und jeder Franken zählt», sagt Stefanie. 

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Die Industrie-Waschmaschine hinter der Küche läuft ununterbrochen. Die Wäsche besteht ausschliesslich aus rosa und lila Laken, Decken, Handtüchern und Teppichen. «Bei so vielen Tieren sind wir ständig am Putzen», sagt Stefanie. Die Hunde schlafen bei ihr im Bett, jeder an seinem Plätzchen. «Das heisst aber, dass ich jeden Tag meine Bettwäsche wechsle.» Und das Katzenzimmer soll auch immer sauber sein. 

Alle Tiere laufen auf dem Gnadenhof frei herum. Im Stall, auf der zwei Hektar grossen Weide hinter dem Hof und eben auch im Haus. Nur in Steffis Kleiderzimmer dürfen sie nicht, das gehört alleine ihren Kleidern und Highheels. «Ich kann oft im ‹Schlaberlook› rumlaufen, aber irgendwann muss ich mich als Frau fühlen, mich schminken und mich hübsch machen», sagt Stefanie, lacht und sticht die Gabel in den Mist. «Dass wir 150 Tiere zu Hause haben, soll uns lieber niemand ansehen.»

Das Beste für die Tiere
Keine Frage, die Sutter-Schwestern geben ihren Tieren viel Platz im Leben. «Bei mir wird nie ein Mann an erster Stelle stehen», sagt Stefanie. «Mit uns ist es, wie wenn man jemanden datet, der schon ein Kind hat», sagt Janina. «Wir sind sehr kompromisslos. Da sind die Männer oft überfordert», erzählt sie weiter. Will die eine ausgehen oder ein Wochenende verreisen, hält die andere Stellung. «Wir können nie zusammen weg», so Janina. «Aber lange halten wir es ohne unsere Tiere sowieso nicht aus», sagt Stefanie. Ihren Ausgleich finden die beiden im Büro oder im Fitness. Und abends ziehen sie sich gerne Trash-TV rein.

Aber manchmal nützt alle Abwechslung nichts: Dann, wenn die Zwillinge einem Tier nicht helfen können. «Es gibt Tiere, die gehen mir nicht mehr aus dem Kopf», erzählt Stefanie. Auch wenn schon viele Tiere gekommen und gegangen sind, «im Einschläfern haben wir keine Übung», sagt Janina. «Aber wir spüren immer, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist», ergänzt Stefanie. Auch wenn es kompliziert wird, regeln und organisieren die beiden, was notwendig ist. Hauptsache für das Tier wird das Beste erreicht. 

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Es ist Abend geworden auf dem Hof. Die 25 Katzen und die 30 Goldfische sind gefüttert, die Ställe und Gehege der Füchse, Meerschweinchen und Hasen sind geputzt. Die Waschmaschine ist neu geladen. Der Bernhardiner Balu weicht uns mittlerweile nicht mehr von der Seite. Er begleitet uns nach draussen, als wir wieder zum Gittertor gehen. Und der Hahn kräht.

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