Die Menschen hinter dem Circus Knie
Photos: Nicolas Righetti
In der Manege stehen die Stars im Scheinwerferlicht. Möglich machen dies 230 MITARBEITER hinter den Kulissen, in der Küche, an der Kasse. Sie alle leben die Magie dieser grossen Artistenfamilie.
DER REQUISITEUR
Abdellah Oualla, 45, kommt aus Marokko, ist seit 22 Jahren beim Circus Knie – wie schon sein Vater. Geht der Vorhang auf, ist es Ouallas Werk.
DER DIRIGENT
«Ich habe viele Shows gerettet»
Eigentlich wollte Ruslan Fil, 48, einen Schlussstrich ziehen und mit der Musik aufhören. Doch dann fragte Fredy Knie, 72, ob der Ukrainer als Dirigent zu ihnen ins Orchester kommen wolle. «Ich sagte für ein Jahr zu. Daraus sind 17 Jahre geworden», sagt der ehemalige Schlagzeuger und lacht. Er ist der Mann, der die Herzen der Zuschauer mit Emotionen füllt. Acht Musiker sitzen mit ihm im Kabelchaos auf der kleinen Estrade. Es hört sich an, als wären es mindestens dreissig. Auch ist es Fil, der den einen oder anderen Fauxpas während der Aufführung musikalisch auffängt: «Ich habe schon mehrere Shows gerettet, und das Publikum hat nichts gemerkt.»
DIE ARTISTEN
«Für uns ist es eine Ehre»
Neben dem Zelt machen sich die Strapaten-Akrobaten Ambra Faggioni, 38, und Ives Papadopaulo Olivares, 43, bereit für ihre Nummer «Golden Dream». Noch ein letzter Spritzen Gold, dann geht es in die Manege. Ihr diesjähriges Programm ist für das seit zwölf Jahren verheiratete Paar das bisher anspruchsvollste. «Damit wir wie echte Statuen aussehen, haben wir uns ein Bodybuilder-Niveau erarbeiten müssen», sagt der Spanier. Fünf Jahre hat das gedauert. Dazu gehört ein täglich zweistündiges Muskeltraining und eine strikte Diät. Der Aufwand lohnt sich. «Es ist eine Ehre, hier zu sein, Knie ist Weltklasseniveau», sagt die Italienerin.
DER CHEF DE PISTE & DIE KASSIERERIN
«Wir sind die 50. Saison dabei»
Als Teenies kamen sie aus ihren jeweiligen Zirkusfamilien zum Knie: Für Bettina Cavallini, 62, und Patrick Rosseel, 65, ist es bereits die 50. Saison. Die Schweizerin absolvierte die Knie-Zirkusschule und ist seit 1976 an der Kasse anzutreffen. Der Franzose ist ein Alleskönner. Er arbeitete als Stallbursche, Maler, Betriebsleiter der Bar und ist jetzt Chef de Piste – verantwortlich für alles in und um die Manege. Im Winter lebt das Paar in einer Wohnung in Rapperswil. Sie brauchten Zeit, sich daran zu gewöhnen. «Abends ging ich zuerst noch in den Wohnwagen schlafen», sagt sie. «Wir kennen nichts anderes», fügt er hinzu.
DIE PFERDEPFLEGERIN
«Ich bin hier aufgewachsen»
Die Pferde sind ihre Passion und der Zirkus ihr Zuhause. Rebecca Fratellini, 36, ist das Göttimeitli von Fredy Knie. Als ihr Vater starb, lud Géraldine Knie sie ein, Ferien bei ihnen im Zirkus zu machen. Damals versprach Fredy, er würde Rebecca einstellen, wenn sie ihren Abschluss habe. Und so kam es auch. Das war vor 19 Jahren. «Ich bin hier aufgewachsen.» Heute steht sie Fredy beim Pferdetraining zur Seite und lebt mit ihrem Mann, dem Zeltmeister Roger Mühlematter, 42, sowie ihrer sechsjährigen Tochter Laura im Wohnwagen. Laura besucht mit vier anderen Kindern die Zirkusschule.
DIE MUSKELMÄNNER
«Schmerzen gehören dazu»
Acht Minuten am Tag arbeiten Constantin Ciobotaru, 34 (r.), und Dan-Florin Tazlauanu, 34, vom Duo Ballance. So lange dauert ihre Hand-zu-Hand-Akrobatiknummer inklusive Training. Das scheint vielen ein Traumjob, «aber die Zuschauer sehen nur das Schöne», so Tazlauanu. Schmerzen und Verletzungen gehören bei den zwei Rumänen zum Alltag. Die beiden sind seit ihrem fünften Lebensjahr beste Freunde. Zuerst war das Auftreten für sie eine Möglichkeit, Taschengeld zu verdienen. Jetzt leben sie ihren Traum und ziehen zum ersten Mal mit einer Zirkuskarawane monatelang durch die Schweiz.
DER SPRECHSTALLMEISTER
«Ich bin als Zirkuskind geboren»
Ihn kennen die meisten Besucher. Enrico Caroli, 58, ist der Mann im roten Frack, der die Zuschauer herzlich begrüsst, technische Probleme mit einem lustigen Spruch überbrückt und den Clowns – zum Amüsement der Kinder – einen Tritt in den Hintern gibt, wenn sie nicht vorwärtsmachen. Vor 25 Jahren stiess Caroli zum Circus Knie, nachdem sich seine eigene Zirkusfamilie aufgelöst hatte. Erst als Komiker und Pferdeakrobat, dann wurde er Sprechstallmeister. Als Franzose mit italienischem Vater spricht er alle Sprachen, die der Circus Knie braucht. «Das war einfach, ich bin als Zirkuskind geboren», sagt Caroli stolz.
DER WERKSTATTLEITER
«Ich fahre auch Traktor»
Wenn etwas auf dem Zirkusareal geflickt werden muss, kommt man an Pascal Seiler, 49, und seiner fahrenden Werkstatt nicht vorbei. Er leitet in seiner zweiten Saison ein Team von acht Mitarbeitern: Schlosser, Schreiner, Maler, Autolackierer und -spengler. Keine fünf Minuten gehts, bis jemand vorbeikommt und mit Händen und Füssen erklärt, was das Problem ist. «Die kaputten Dinge werden hingeschmissen, wir reparieren sie und legens wieder hin.» In der Werkstatt herrschen übliche Arbeitszeiten, ausser bei der Züglete. Wie viele andere hat Seiler eine Doppelfunktion. Wenn der Zirkus in die nächste Stadt zieht, fährt er Traktor.
DER KOCH
«Wir sprechen Zirkusdialekt»
Er sorgt fürs kulinarische Wohl auf dem Areal: Nour Eddine Oulouda, 59. Der Chefkoch ist seit 33 Jahren dabei. 240 Portionen gibt er den Mitarbeitern pro Tag heraus: Frühstück, Mittag- und Abendessen. Klar, dass er jeden kennt. «Wir sprechen Zirkusdialekt und verstehen uns alle auf Anhieb», sagt er. Als er die Hotelfachschule in Marokko abschloss, kam er zum Knie. Da, wo sein Bruder schon als Requisiteur angestellt war. Hinter dem Kochwaggon steht sein Schmuckstück – der schönste Wohnwagen auf dem Platz. «Dieser hat Bimba, Doris Knie, für mich gefunden. Wir sind hier eine grosse Familie.»
DIE LASTWAGENFAHRERIN
«Dieses Leben ist gut»
Daniela Schmutz, 47, fährt seit 23 Jahren Lastwagen. Diese Saison ist sie das erste Mal mit dabei beim Circus Knie. Als erste und einzige Frau im Bereich Transport. Zurzeit fährt die Bernerin beim Auf- und Abbau PKWs von A nach B. «Ich bin erst seit fünf Wochen hier, wurde aber von allen gleich aufgenommen und gehörte sofort dazu», sagt die Miss Tattoo Schweiz 2012. Um auf Zirkus-Tour mitzugehen, muss sie auf einiges verzichten, darunter auch auf Rockabilly-Festivals und die Show ihrer guten Freundin Zoe Scarlett. Aber das macht nichts: «Das Leben im Zirkus ist gut fürs Gemüt.»
DER VERLADEMEISTER
«Es läuft wie ein Uhrwerk»
Wenn es zur Züglete kommt, ist Oliver Schlisske, 46, einer der grossen Showmen. Als Verladechef dirigiert der gelernte Zimmermann die Equipe, welche die beiden Extrazüge mit Wohnwagen, Büros und Zeltmaterial belädt. «Hier ist höchste Konzentration gefragt, damit keine Unfälle passieren», erklärt der Deutsche. Sein Arbeitstag fängt in den frühen Morgenstunden an und dauert bis zum nächsten Mittag. Dann ist alles am neuen Ort abgeladen und das Zelt aufgebaut. «Es läuft alles wie ein Uhrwerk.» Wenn gerade nicht umgezogen wird, kümmert sich Schlisske um den Materialbestand und die Reparaturen von Wohnwagen.
DER MALER
«Das war mein Kindheitstraum»
Urs Badertscher, 56, wird von allen «Pinseli» genannt. Nachvollziehbar, denn er ist der Maler der Werkstatts-Mannschaft. Schon als kleiner Junge wollte er zum Zirkus. Obwohl seine Eltern von dieser Idee nicht begeistert waren. «Sie verstanden nicht, was ich denn im Zirkus wolle.» Doch Badertscher erfüllte sich vor 30 Jahren «seinen Kindheitstraum», wie der Zürcher Oberländer erzählt, und fing beim Circus Knie an. Er kennt nicht nur einen Haufen Leute auf dem Platz, sondern mit der Zeit auch in der ganzen Schweiz. «Ich finde es toll, herumzuziehen und immer wieder Menschen zu treffen.»
WAS ES ALLES BRAUCHT
Der Zirkus in Zahlen
Im Knie sind rund 230 Menschen aus 16 Nationen angestellt. Für die 101. Saison dieses Jahr wurde ein neues Zelt angefertigt, das 15,5 Meter hoch ist, rund 2,5 Tonnen wiegt und von zwei Bögen à je 10 Tonnen getragen wird. Für die Show werden 10 Kilometer Kabel, 100 Scheinwerfer und 250 LED-Leuchten gebraucht. Mit auf die Reise geht auch der Zirkuszoo, der mehr als 80 Tiere zählt. Pro Tag brauchen sie 700 Kilo Stroh und 860 Kilo Nahrung. Dabei fallen täglich 12 Kubikmeter Mist an.