Die singende Wölfin

Die singende Wölfin

Photos: Fabienne Bühler

Sie ist 70, und sie singt wie keine Zweite. Die Tessinerin LA LUPA zeigt ihr buntes Zuhause in Zürich und sagt: «Bei mir muss alles ordentlich sein. Sonst bin ich unglücklich.»

Der Kleiderschrank von La Lupa, 70, beherbergt 30 Jahre Modegeschichte: Blusen, Röcke, alles auf Mass geschneidert. In allen Farben und Mustern.

«Für mich ist anziehen wie malen», sagt Maryli Maura Herz-Marconi, so ihr bürgerlicher Name, in ihrem typischen Sprachmix aus Hoch- und Schweizerdeutsch mit leicht italienischem Akzent. La Lupa holt aus ihrem «Malkasten» eine Paillettenhose. Ein Geschenk der Modedesignerin Christa de Carouge, die nur Schwarz trägt. La Lupa ist die farbigste Frau der Schweiz. Vom roten Haar bis zur senfgelben Strumpfhose passt alles zusammen.

Doch La Lupa ist mehr als die Frau mit 241 Hüten, die sie bis jetzt gesammelt hat. Als Sängerin und Schauspielerin hat sie ihren festen Platz in der Schweizer Kulturszene. La Lupas Markenzeichen: Sie tritt ohne Mikrofon und Verstärker auf – auch wenn sie etwa vom Grossmünsterturm über die Zürcher Altstadt hinweg singt. Wie sie ihren Gesangsstil nennt? «Ich weiss es nicht, vielleicht Ausdrucksgesang, so wie es auch Ausdruckstanz gibt.» Ihre Stimme klingt, als würde Wasser aus einer Quelle sprudeln, sie vermittelt ein Gefühl von Frische und Geborgenheit. La Lupas Hauptbühne ist das Theater Stok in Zürich. Sie schreibt ihre Programme selbst, immer über Themen, die sie beschäftigen und die sie behandeln muss. Wie ein Mosaik setzt sie ihre Stücke aus italienischen und deutschen Liedern, Gedichten und Texten zusammen. Dafür stöbert sie sogar in Italien in Bibliotheken, Antiquariaten und Archiven. Ihre Funde stapelt sie in einer Weinkiste in ihrem Büro. «Daraus pflücke ich mit dem Regisseur das Beste, es bleibt ein Konzentrat, eine Collage, mit der ich mich auseinandergesetzt habe», sagt La Lupa. «Ich bin nicht zielstrebig. Ich bin diszipliniert.» DieInszenierung erarbeitet sie dann mithilfe des Regisseurs und des Musikers, der das Arrangement macht. «Ich weiss immer, wie ich anfangen und abschliessen will. Aber fürs In-Form-Bringen brauche ich Hilfe.»

Bereits als junges Mädchen ist die Sängerin aus dem Onsernone-Tal im Tessin dem Farbenrausch verfallen. Schon damals trägt sie leuchtend bunte Kleider und Schleifen im Haar. «Lupa», Wölfin, nennen sie ihre Freunde in der Jugend. Weil sie wild und unabhängig ist. Zu «La Lupa» wird sie Ende der 70er-Jahre, als sie mit einer Studentenband in Zürich auftritt.

Mit ihrem Mann Markus, 68, lebt sie heute in Zürich Enge. Sie nennt ihn liebevoll «Lupo» oder im Tessiner Dialekt «Lüp». Beide kennen sich aus der Zeit, als sie bei der Zürcher Kantonalbank arbeiteten. Seit 47 Jahren sind sie verheiratet. Die Stelle damals trat La Lupa beim Umzug nach Zürich an, als sie nach ihrem Handelsdiplom in Bellinzona bei der UBS angestellt war.

Den Morgenkaffee trinken die beiden in einer Bar nebenan, wo sie auch ihre Zeitung lesen. Nachmittags erledigt La Lupa ihre Einkäufe und den Haushalt. «In unserer Wohnung muss alles ordentlich sein, sonst bin ich unglücklich.» Vor allem aber übt La Lupa. Sie singt im Wohnzimmer und lernt ihre Stücke auswendig. Jeden Tag macht sie als Allererstes zwei Stunden Yoga. Den Draht zum Spirituellen fand sie in ihren 20ern, als sie von einer Arbeitskollegin in eine Yogastunde mitgenommen wurde.

Jeden Abend geht die Tessinerin aus: Tonhalle, Theater, Vorträge oder Freunde treffen im legendären spanischen Restaurant Bodega – ihrer Stammbeiz im Zürcher Niederdorf. Damit sie pünktlich zur 19.30-Uhr-Vorstellung in der Tonhalle ist, kocht La Lupa bereits um 18 Uhr. Eine Stunde, bevor sie losmuss. «Eigentlich bin ich immer gehetzt, das stinkt mir», sagt sie und lacht laut. La Lupa kauft grundsätzlich die günstigsten Eintrittskarten. «Ich besuche die Tonhalle, wie andere in der Migros einkaufen gehen.» Meist geht sie alleine, weil ihr Lüp lieber die Hockeyspiele seiner Lieblingsmannschaft ZSC schaut oder sich seiner Passion, dem Wasserfahren im Limmatclub, widmet. Bei dem traditionellen Schweizer Wettkampfsport ruderte er früher aufrecht stehend in einem Weidling. «Mein Mann ist für den Sport zuständig, ich für die Kultur», so die Sängerin.

Da sie ihre Tage nicht oft zusammen verbringen, gibts einen täglichen Treffpunkt um Mitternacht in ihrer Küche. Hier trinkt das Paar dann gemeinsam eine Tasse Tee und erzählt sich, was jeder erlebt hat. «Wir reden nur Blödsinn miteinander», sagt Markus. Beide lachen. Sie gehen liebenswürdig miteinander um, «schätzelen», kichern und planen, bald einmal Pizza zu essen. Er geht schliesslich zu Bett, sie übt weiter ihren Text.

La Lupa ist ihre eigene Agentin. Für ihre Produktionen bekommt sie zwar staatliche und private Unterstützung. Es sei aber nicht einfach, Geld aufzutreiben. Lupo hilft ihr bei administrativen Angelegenheiten. La Lupa lebt bescheiden. Sie lebt für die Kunst: «Ich brauche sie für meine Seele.»

Schweizer Illustrierte, 03. März 2017

Schweizer Illustrierte, 03. März 2017

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