Wandern im Vierpfotentakt
Photos: Remo Nägeli
Das Handörgeli und das Mikrofon tauschen MELANIE und HANSUELI OESCH gegen zwei Hundeleinen. Mit Bernhardinern erkunden die Berner Volksmusiker den Grossen Sankt Bernhard.
Einfach auf und davon ist der Hund! Als Tierpflegerin Clémentine Coquoz, 21, ihren Hunden der Fondation Barry die Leine anziehen will, haut einer durch das Tor des Aussengeheges ab und springt Männchen Magnum zum Beschnuppern entgegen. Mit seinem Auftritt hat der dreieinhalbjährige Magnum seine vierzehn Artgenossen im Hospiz auf dem Grossen Sankt Bernhard verrückt gemacht. Die Tierpflegerin aus Martigny VS muss mit dem Ausreisser schimpfen: «Du hast Glück, dass wir Besuch haben.»
Auf Besuch sind die erfolgreichen Volksmusiker Hansueli Oesch, 60, und seine Tochter Melanie, 30, sowie Claudio Rossetti, 55, Direktor der Fondation Barry und Herrchen von Magnum. Gemeinsam gehts auf eine eineinhalbstündige Wanderung, begleitet von vier Bernhardinern. Eins der drei Weibchen ist die verschmuste Rangoon, 2. Sie schmiegt sich gleich an Melanie Oeschs Bein. Die tätschelnde Hand der Leadsängerin von Oesch’s die Dritten auf Kopf und Hals wirkt beruhigend. Es sieht sogar aus, als würde Rangoon lächeln. Der Mundwinkel zieht nach oben, etwas Spucke tropft auf den Steinboden. «Früher hatten wir immer Hunde. Aber momentan geht das nicht, wir reisen doch so viel», sagt Melanie. «Aber sie zieht die Tiere an. Bei ihr fühlen sie sich wohl», sagt Vater Hansueli Oesch. Er selber hatte als Kind Bernhardinerhunde auf dem Bauernhof in Schwarzenegg im Berner Oberland. «Das war aber vor meiner Zeit», ergänzt seine Tochter.
Bevor es losgeht, schnallt Tierpflegerin Coquoz rote Lederhalsbänder mit Schweizer Kreuzen den Vierbeinern um. Und Melanie bindet Magnum die Apotheke auf den Rücken. Ein Fässchen gibts auf dieser Wanderung nicht. Oesch’s die Dritten sind seit drei Jahren Paten von Magnum. Das ist nun das erste Mal, dass sie mit ihm einen Ausflug unternehmen. «Die Wanderung soll auf eine intelligente Art das Tier und den Menschen näherbringen. Mehr als nur den Hund auf einem Selfie haben zu wollen», erklärt Fondation-Barry-Direktor Claudio Rossetti. Denn die Schweizer Nationalhunde sind auf dem Grossen Sankt Bernhard Attraktion. Zu Recht! Magnum und die drei Hündinnen sind die richtigen Bergführer. Von Anfang Juli bis Ende August laufen sie zweimal am Tag (Start jeweils um 10 und 14 Uhr) eineinhalb Stunden mit Touristen. Am 7. Oktober 2018 endet die Saison für die Tiere mit dem öffentlichen Alpabzug – überwintert wird im Barryland in Martigny.
«Ich kann dem Hund immer abschauen, wohin er seine Pfoten setzt», sagt Hansueli Oesch, der eigentlich nicht so oft wandert. «Melanie schon öfter, aber sie geht eher mit ihrer Mutter Annemarie, 55, laufen.» Ein bisschen den Kopf zu lüften, kommt dem Schwyzerörgeli-Spieler aber gerade recht.
«Wir haben ein Marathon-Wochenende hinter uns», sagt Melanie, die Älteste der drei Oesch-Kinder. Papa Oesch ist am Wochenende sechzig geworden. Zum Anlass gab die Volksmusikgruppe ein neues Album raus: «Vätu’s Wunschliste». «Das sind alles Lieder, die es in all den Jahren nicht auf unsere Alben geschafft haben, aber Vätu besonders am Herzen liegen», erklärt Melanie. «Da sind noch Lieder von meinem Grossvater mit dabei und Schlager aus den 50er- und 60er-Jahren», so der Jubilar. Aufgenommen haben Oesch’s die Dritten das neue Album daheim im zum Studio umgebauten Proberaum. «Das war auch ein langjähriger Wunsch von Vätu», erklärt Melanie. «Und da konnten wir manchmal gar nicht mehr aufhören. Manchmal spielten wir bis in die Nacht hinein.» Dennoch haben es aber wieder nicht alle Lieder aufs Album geschafft. «Es reicht noch für drei weitere CDs», fügt Hansueli hinzu und kichert kindlich, die Schultern zu den Ohren gezogen. Melanie stimmt mit ein.
Die beiden wirken wie ein eingespieltes Team mit einem sehr engen Verhältnis. Vater-Tochter-Momente gibts bei ihnen meistens nach dem gemeinsamen Musizieren. «Dann verlieren wir uns manchmal in Lebensphilosophien. Und da sind wir uns oft nicht einig», sagt Melanie. «Grund dafür ist meistens der Generationenunterschied.» – «Und Melanie ist Perfektionistin. Ich muss ihre Gedankengänge manchmal etwas durcheinanderbringen», scherzt der Vater. «Aber eigentlich verstehen wir uns ohne Worte», so Melanie. Während der Wanderung versichert sich die Tochter immer per Blickkontakt, dass es ihrem «Vätu» wohl ist. Der musste erst kürzlich an der Schulter operiert werden. «Ach, mach dir keine Sorgen! Im Militär musste ich viel auf dem Land marschieren», sagt er während einer eingelegten Pause und richtet seine Worte zu seiner Begleiterin Djanga: «Jetzt musst du mal auf mich warten, nicht immer ich auf dich.» Die vierjährige Hündin stoppt bei jedem Bächlein, um gierig zu trinken. Kaum ist sie fertig, gehts für die Truppe weiter über Stock und Stein, an Schnee, drei Seen und Dutzenden von Steinböcken vorbei – einfach den Hundeschnauzen nach.