In zwei Welten daheim
Photos: Nicolas Righetti
Die Scheinwerfer strahlen für die ehemalige Miss Schweiz LAETITIA GUARINO im Doppelpack: als Social-Media-Star und als Assistenzärztin. Ganz schön stürmisch ist auch ihr Liebesleben.
Am Radio des Operationssaals im Hôpital neuchâtelois in La Chaux-de-Fonds läuft Robbie Williams. Auf dem heutigen Plan: eine Brustrekonstruktion. An vorderster Front steht Laetitia Guarino, 26, Miss Schweiz 2014 und seit drei Monaten Assistenzärztin in der Allgemeinen Chirurgie. Erst wäscht und desinfiziert Guarino ihre Hände bis zu den Ellbogen. Dann schlüpft sie in die grüne, sterile Kleidung – mit Haube, Maske, Handschuhen und Crocs. Einzig ihre grossen geschminkten Augen und die vollen Augenbrauen sind noch zu erkennen. Guarino steigt auf ein Metallböckli neben dem OP-Tisch. Vis-à-vis und jetzt auch auf Augenhöhe der leitende Chirurg Dr. Laurent Smeets, 37. Mit den vielen Kleiderschichten und den Scheinwerfern merkt Laetitia gar nicht, dass es im Raum recht kühl ist. «Ich liebe das Adrenalin, das vor jeder Operation in mir aufsteigt. Dann vergesse ich alles um mich herum», sagt sie. Es kann losgehen.
Szenenwechsel. Hier hören wir im Radio laute neapolitanische Musik. Laetitia Guarino zieht sich in ihrer Wohnung in Neuenburg um. Anstelle des All-Grün-Tenues, das sie während ihrer Schicht im Krankenhaus trägt, fällt ihre Wahl auf ein All-Black-Outfit. Das heutige Abendprogramm: das Montreux Jazz Festival. Seit ihrer Miss-Schweiz-Wahl wird Guarino sehr oft an Events eingeladen. Auf Social Media nimmt sie als Influencerin ihre fast 14 000 Follower überallhin mit und verdient dabei etwas Taschengeld – manchmal auch mehr. Galas, Geschenke und Kooperationen mit Marken gehören zu ihrem Alltag. Zum Beispiel fährt Laetitia gerade ein Auto mit ihrem Namen drauf. Manchmal gehts sogar so weit, dass sie von einer Einladung direkt die Nachtschicht in der Notaufnahme übernimmt. Wann sie schläft? «Nie!», sagt Laetitiaund lacht.
Im Operationssaal in La Chauxde-Fonds brauchts einen wachen Blick. Während der Operation wird geschwatzt und gelacht. Unter anderem erklärt die Social-Media-Frau Guarino dem Chirurgen Smeets, wie die Instagram-Welt funktioniert: «Ich mache auf meinem Kanal zum Beispiel auch auf humanitäre Projekte aufmerksam.» Das gefällt dem Chef. Sechs Monate wird sie noch hier arbeiten, danach führt sie ihre zweijährige Assistenzzeit in Neuenburg weiter. «Es ist toll, in kleineren Spitälern zu arbeiten. Ich komme viel eher zum Zug, schaue nicht nur zu und lerne deshalb extrem viel.»
Für diesen Job als Assistenzärztin sind die Schönheitskönigin und ihr Freund Stefano Io-dice, 29, vor zwei Monaten von Lausanne nach Neuenburg in eine Zweizimmerwohnung mit Seeblick gezogen – mit dabei ihre beiden Katzen Madame Prouprou und Ricky. Da ihr Schatz hier bereits vorher als Projektleiter im Elektro-Familienunternehmen arbeitete, macht der Umzug doppelt Sinn. Nun fährt Laetitia einfach hin und her, um mit ihren Freundinnen zu schlemmen. «Stefano und ich unternehmen viel mit unseren Familien und Freunden.» Entsprechend ist die Zeit zu zweit selten, aber umso wertvoller. Heute Abend etwa ist «Date Night» angesagt. «Ich liebe es, auch mal alleine mit Laetitia auszugehen.» Bevor es aber losgeht, muss auch Stefano sich umziehen. «Wieso brauchst du denn wieder so lange?», schimpft Laetitia, die zwischendurch immer mal was für ihre Instastory mit ihrem Smartphone aufnimmt. Stefano zieht mit dem All-Black-Look nach, Laetitia findets gut und sucht noch den passenden Gürtel für ihn raus.
Sorgfältig und präzis ist Laetitia selbstverständlich nicht nur bei der Kleiderwahl, sondern auch im Operationssaal. Die plastische Chirurgie hat es ihr angetan: «Es ist eine sehr feine Arbeit, das gefällt mir, aber ich will mich noch nicht festlegen.» Unterdessen ist es im OP-Saal mäuschenstill. Laetitia näht konzentriert die Brust der Patientin wieder zu. Der Eingriff dauert drei Stunden. «Laetitia ist eine sehr seriöse Assistenzärztin, die proaktiv arbeitet und positive Stimmung verbreitet», schwärmt Dr. Smeets.
Laetitia gibt stets Vollgas. Mit ihr mitzuhalten, ist für Freund Stefano oft schwierig. «Sie ist immer perfekt und wird es sehr weit bringen.» Er jedoch ist es, der seinen Schatz jeweils auf den Boden holt, wenns zu hektisch wird. «Er ist mein Fels in der Brandung.»
So leise wie im Operationssaal ist es aber bei ihnen zu Hause nie. Beide haben viel Temperament. «So viel, dass manchmal die Teller fliegen», sagt die Waadtländerin. «Das ist aber auch gut so. Mir wird schnell langweilig.» – «Sie ist hyperaktiv», bestätigt Stefano und verdreht die Augen. Wenn er mal gerne lange ausschlafen oder faulenzen würde, «prügelt» sie ihn aus dem Bett.
Böse ist er ihr aber definitiv nicht lange. Jeden 5. des Monats schenkt Stefano seiner Liebsten eine Kleinigkeit – und das seit acht Jahren, seit sie einander begegnet sind. «Damals war es Liebe auf den ersten Blick. Stefano hat es kein einziges Mal vergessen. Er ist sehr romantisch», schwärmt Laetitia und grinst.
Die Assistenzärztin legt die Maske ab. Auch jetzt grinst sie. Die Operation ist gut gelaufen, sie und ihre Kollegen sind zufrieden. In der Umkleide verwandelt sich Laetitia wieder zur Schönheitskönigin: Sie wechselt vom eintönigen Tenue zu einer weissen Bluse und Bluejeans, zieht mehrere Ringe über die Finger, steckt Ohrringe an ihre Ohrläppchen und schlüpft in ihre hohen Sandalen. Noch kurz das Haar verwuscheln und den Lipgloss auffrischen. Laetitia ist wieder auf dem Sprung. Sie muss los, weiter in ihre andere Welt.